Interview mit Georges Engel im Tageblatt

"Ich mache keine Politik, um auf mich aufmerksam zu machen"

Interview: Tageblatt (Dan Elvinger)

Tageblatt: Herr Engel, nachlangen Jahren an der Frontmussten Sie kürzlich schweren Herzens Ihr liebstes Hobby aufgeben. Wie sehr schmerzt es, in Zukunft kein Teil mehr der "Knappbléiser" bei den Heimspielen der AS Zolver zu sein?

Georges Engel: Ich bin einer der Gründer der Musikgruppe, die die AS Zolver bei ihren Spielen musikalisch unterstützt. Damals war ich wohl 13 oder 14Jahre alt, so lange mache ich das schon. Als ich Bürgermeister von Sanem geworden bin, haben sich bereits einige gewundert, warum ich weiter mit der Posaune auf der Tribüne stand. Als ich dann Abgeordneter wurde, habe ich mir die Frage selbst gestellt, ob ich aufhören soll, doch ich habe entschieden, weiterzumachen. Ich habe selbst 20 Jahrelang Basketball gespielt und dieser Sport liegt mir am meisten am Herzen. Nach rund 40 Jahren als Musiker auf der Zolver Tribüne habe ich jedoch entschieden, jetzt damit aufzuhören. Ich schließe jedoch nicht aus, dass ich die Posaune wieder raushole, wenn wir irgendwann Meister werden sollten.

Tageblatt: Im Klartext: Haben Sie sich wegen Ihres neuen politischen Amtes zu diesem Schritt entschieden?

Georges Engel: Ja, heutzutage ist es schwer, ein solches Hobby und den Ministerposten zu vereinen. Das liegt auch am wachsenden Einfluss der sozialen Medien. Jeder kann dich filmen und im Handumdrehen landet ein Video im Netz und kann dich in ein schlechtes Licht rücken. Ich bin außerdem ein Fan, der mit Leib und Seele dabei ist und auch mal laut werden kann. Seit ein paar Jahren habe ich meine Emotionen aber besser im Griff. Mittlerweile bekommen auch eher die Spieler zu spüren, wenn ich malunzufrieden bin. Über die Jahre habe ich nämlich verstanden, dass die Schiedsrichter ihr Bestes geben und man sie deshalb nicht noch anschreien sollte. In dieser Hinsicht hat mir die Posaune oft geholfen. Während der Spiele war ich oft so nervös, da war es schon von Vorteil, wenn ich Musik spielen konnte und in dem Moment keine Luft hatte, um zuschreien.

Tageblatt: Anfang Januar sind Sie zum Sportminister vereidigt worden. Welches Dossier habenSie als erstes in Angriff genommen?

Georges Engel: Derzeit treffe ich mich mit allen Verbänden, um herauszufinden, welche Schwachstellen und Wünsche es gibt und was ich in den 18 Monaten, die mir bleiben, noch umsetzen kann. Priorität genießt derzeit auch, dass die Dossiers wie das Velodrom oder die Reform des "congé sportif" zum Abschluss gebracht werden.

Tageblatt: Was bemängeln die Verbände?

Georges Engel: Die meisten Verbände wollen, dass die Trainerausbildung weiter vorangetrieben wird, um noch professionellere Strukturen zu schaffen. Thema war auch die Infrastruktur, die für manche Sportarten ausreichend ist und für andere noch nicht.

Tageblatt: Welche Dossiers liegen Ihnen besonders am Herzen?

Georges Engel: Die zivile Karriere für Elitesportler. Es gibt Menschen, die nicht zur Armee wollen, und dafür habe ich auch Verständnis. Diesen Athleten muss man die Möglichkeit geben, einen zivilen Dienst innerhalb der Sportgemeinschaft zu leisten. Es liegen bereits erste Entwürfe vor – in den kommenden Monaten wird mehr Klarheit in dieses Dossier kommen. Sehr wichtig ist für mich auch das Thema "Bénévolat". Heute Morgen (Mittwoch) hatte ich ein Treffen mit dem Basketballverband. Dabei kam auch das Thema Profis zur Sprache. Ich bin der Meinung, dass es nicht gut ist, Meister mit vier oder fünf Ausländern zu werden und dann wegen mangelnder Identifikation Zuschauer und die freiwilligen Helfer zu verlieren. Je stärker die Verbindung zum Verein, desto größer ist auch der Wille, etwas für diesen zu tun. Der "bénévole" bekommt dann das Gefühl, dass er etwas Sinnvolles für seine Gemeinschaft tut.

Tageblatt: In den vergangenen Jahren wurden einige Anreize geschaffen, damit wiedermehr Menschen sich für ihren Klub einsetzen. Ein richtiger Durchbruch gelang nie. Im Gegenteil: Die Zahl der Freiwilligen scheint weiter rückläufig zu sein. Ist die Situation hoffnungslos?

Georges Engel: Es ist ein Phänomen der Zeit. Das Ich wird nicht mehr hinter das Wir gestellt. Das gehört bei vielen Menschen zum aktuellen Zeitgeist. Ich habe mein Leben lang das Wir vor das Ich gestellt. Wenn es der Gemeinschaft gut geht, dann geht es auch dem Einzelnen gut. Das ist umgekehrt nicht der Fall. Der Gemeinschaftsgedanke ist nicht komplettverschwunden, aber vielleichtmüssen wir uns insgesamt mehr Mühe geben, die Menschenkennenzulernen. Als Kommunalpolitiker war ich immer davonüberzeugt, dass 30 Prozent der Bürger der Gemeinde sich irgendwie und irgendwann engagieren. Das passiert vor allem dadurch, dass man sich bei Konzerten oder Sportveranstaltungen trifft und miteinander redet. 70 Prozent der Bürger sieht man allerdings nie. Sie sind im gesellschaftlichen Leben nicht vertreten. Auf diese Menschen muss man vielleichtanders zugehen. Ich habe auch kein Patentrezept für dieses Problem, aber wir müssen weiter versuchen, das Ehrenamt zu fördern. Und deshalb bin ich froh, dass in Zukunft auch Vereinsverantwortliche den "congé sportif" in Anspruch nehmen können.

Tageblatt: Ein Freiwilliger pro Verein wird in Zukunft vier Tage "congé sportif" in Anspruch nehmen können. Das ist besser als nichts, aber auch nichtsehr viel, wenn man ein ganzes Jahr für einen Verein arbeitet. Gibt es hier eigentlich noch Spielraum?

Georges Engel: Es ist nicht so einfach, dies mit den beruflichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Wenn ich mir jetzt die Kappe als Arbeitsminister aufsetze, dann können wir gerne über Arbeitszeitverringerung reden. Ich bin nämlich dafür. Derzeit arbeiten wir nur, um zu leben und nicht umgekehrt. Wenn in Zukunft die Menschen wieder weniger Zeit am Arbeitsplatz verbringen müssen, dann haben sie auch wieder mehr Zeit für andere Dinge, wie zum Beispiel, sich in einem Verein zu engagieren.

Tageblatt: Im Oktober 2023 stehen die nächsten Landeswahlen an. Sie haben weniger als zwei Jahre Zeit, um auf Ihre Arbeit aufmerksam zu machen und wiedergewählt zu werden. Wird das Sportministerium unter Georges Engel eine Revolution erleben?

Georges Engel: Eine gute Frage, die sehr gut zu mir passt. Ich mache keine Politik, um auf mich aufmerksam zu machen. Diese Einstellung zieht sich wie ein roter Faden durch meine politische Laufbahn. Als Bürgermeister habe ich nie versucht, mitgroßen "scoops" auf mich aufmerksam zu machen.

Tageblatt: In Sanem hatten Sie aber auch mehr Zeit, um etwas zu bewegen.

Georges Engel: Das stimmt wohl, was ich aber damit sagen will, ist, dass ich nicht dauernd in der Öffentlichkeit stehen muss. Das ist eine Art, Politik zu machen, die nicht unbedingt falsch ist, aber es ist nicht mein Weg. Ich habe mir einige Ziele gesetzt und will diese erreichen. Auch wenn es sich dabei um Projektehandelt, die von meinem Vorgängerstammen. Diese Dossiers sind mir wichtig, sonst würde ich sie nichtvorantreiben wollen. Wichtig ist für mich auch, dass die internen Abläufe im Sportministerium optimiert werden. Das habe ich damals als Bürgermeister der Gemeinde Sanem auch so gemacht. Die Abläufe sollten gut für den Bürger und die Menschen sein, die dort arbeiten. Das ist kein "scoop", aber mittlerweile ist Sanem eine ultramoderne Gemeinde. Und in diese Richtung will ich auch hier gehen.

Tageblatt: Ihr Vorgänger Dan Kersch hat den Sport fast nur in Covid-Zeiten erlebt und unter anderem zwei "plans de relance" ausgearbeitet. Nun ist die Pandemie noch immer nicht vorbei. Wird es die weiteren angekündigten Hilfen für die Vereine und Verbände auch in diesem Frühjahr und Sommer noch geben?

Georges Engel: Derzeit wird der letzte "plan de relance" unter die Lupe genommen und es ist sehr wahrscheinlich, dass noch ein weiterer hinzukommen wird. Wie dieser aussehen wird, wissen wir noch nicht. Ich kann derzeit noch nicht sagen, welche Maßnahmen am besten gefruchtet haben. Fest steht, dass es das Förderprogramm "qualité+" weiterhin geben wird, das für mehr Professionalität und bessere Betreuung steht.

Tageblatt: Derzeit ist der Posten des für Sport zuständigen Regierungskommissars nicht besetzt. Dan Kersch wollte ein Gesetzesprojekt auf den Weg bringen, in dem die Anforderungen für diesen Posten heruntergeschraubt worden wären. In welche Richtung wollen Sie gehen?

Georges Engel: Auch diese Frage kann ich derzeit noch nicht beantworten, da ich nicht weiß, in welche Richtung ich gehen will. Ich habe die Überlegung von Dan Kersch sehr wohl verstanden, weil wir als Sportministerium nicht die Ersten wären, die eine solche Richtung einschlagen würden. Ich weiß auch noch nicht, ob es in Zukunft noch einen Sportkommissar geben wird– ich will es aber auch nicht ausschließen. Generell sehe ich die Sache so: Für verschiedene Posten muss man auch nicht Arzt oder Jurist sein. Die berufliche Qualifikation ist wichtig, aber auch nicht alles.

Tageblatt: Aber ein Minimum an Qualifikation muss doch vorhanden sein?

Georges Engel: Damit bin ich einverstanden.

Tageblatt: Laut Arbeitsrecht gibt es in Luxemburg keine Profisportler. Vor allem die Fußballerwollen, dass sich das bald ändert. Wie ist der Stand der Dinge?

Georges Engel: Kürzlich hatte ich eine parlamentarische Anfrage zu diesem Thema. Am 31. März 2021 hatten wir laut CNS offiziell 116Profisportler. Bei der Gesundheitskasse haben Profisportler also einen eigenen Status. Es gibt vor allem im Fußball viele Sportler, die keinen richtigen Arbeitsvertrag besitzen und trotzdem hauptberufliche Sportler sind.

Das ist ein Problem, mit dem wir uns befassen und ich hatte bereitsein Gespräch mit der FLF zu diesem Thema. In den vergangenen Jahren haben sich schon einige Leute die Zähne an diesem Dossier ausgebissen. Das große Problem beim Arbeitsvertrag für Sportler ist, dass die Vereine dann auf einmal begründen müssen, warum sie ihre Spieler nichtmehr halten und bezahlen wollen. Es ist ein juristisch komplexes Dossier.

Tageblatt: Derzeit müssen sehr viele Kinder teils monatelang warten, um einen Termin bei der sportmedizinischen Untersuchung zu bekommen und dürfen deshalb nicht an der Meisterschaft teilnehmen. Der "médico sportif" scheint zur großen Baustelle geworden zu sein?

Georges Engel: Ich kenne das Problem und es muss dringend etwas unternommen werden. Am INS haben wir unsere Mannschaft mit einer Sportmedizinerin verstärkt und vor ein paar Tagen habe ich Verträge mit einer Handvoll Ärzteunterschrieben, die in diesem Bereich zum Einsatz kommen werden. Generell muss man sich beim "médico" die Frage stellen, ob nicht einige Kontrollen von Hausärzten durchgeführt werden können. Ich stelle die Sportmedizin und ihre Wichtigkeit nicht in Frage, es ist legitim, dass jeder versucht, seine "chasse gardée" zu behalten, aber die Allgemeinärztesind ja auch nicht auf den Kopf gefallen.

Tageblatt: Zum Abschluss noch ein kontroverses Thema. Sie haben sich entschieden, nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Peking zu reisen. Als Grund nannten Sie, dass Sie sich in Ihre neuen Aufgabeneinarbeiten müssen. War das eine willkommene Ausrede, um die Spiele nicht offiziell zu boykottieren?

Georges Engel: Eines vorweg: Ich finde es nicht gut, dass in China die Menschenrechte nicht respektiert werden, dass es keine Pressefreiheit gibt und dass Menschen teilweise unter unmöglichen Bedingungen arbeiten müssen. Bei der Vergabe von Turnieren sollten Kriterien ausgearbeitet werden, dazu gehören dann für mich u.a. Menschenrechte und Pressefreiheit. Wenn wir das schaffen würden, dann hätten wir schon viel erreicht. Um zur Frage zurückzukommen: Ich wäre nach China geflogen, wenn ich länger Minister gewesen wäre und Zeit dafür gehabt hätte. Vor Ort hätte ich den Leuten meine Meinung zu ihrem Regime klar und deutlich gesagt. Das ist auch eine Möglichkeit, an eine Sache heranzugehen.

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